Beytrag zur Geschichte der Menschheit aus einem Briefe von Gießen in Hessen. Reisebericht
Jahr:1788
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Signatur: Beytrag zur Geschichte der Menschheit aus einem Briefe von Gießen in Hessen. In: Journal von und für Deutschland. 1784-92. 1788, 5. Jg., 7.-12. St., S. 406 – 408.
„Meine Reise ging aus dem Hassencasselischen bade zu Hof-Geismar über Cassel nach Marburg, sie ließe mich manches bemerken. Sie wissen, daß ich für jede Anstalt aufmerksam bin, die dem Besten der Menschheit gewidmet ist, eine solche wird Ihnen der Schluß dieses Briefs wenigstens merkwürdig machen. Das Bad zu Hof-Geismar scheint mir als Bad wenigstens keines der andern Bäder hinter sich zu lassen; als Brunnen ist es von weniger Bedeutung. Die Veranstaltungen zum Besten der Badegäste sind nicht übel und der jetzt regierende Landgraf scheint sie ihrer Vollkommenheit näher bringen zu wollen. Daß ers kann, zeigt sein Wilhelmsbad bey Hanau. Sonst waren in Hof-Geismar nur fürstliche Zimmer für die Herrschaft; jetzt baut er ein Haus für sich und seine Familie. Sein Geschmack ist durchaus groß. Alles, was er baut, ist von Stein, und wo er einen baum hingepflanzt, da scheint ihn die Natur hingesetzt zu haben. Die allzu dichten und finstern Spaziergänge und Lustplätze im Bade, hat er offen und heiter gemacht, wie die in Cassels Aue. Es war ein eigner Aufseher bestellt, der über die Güte der Speisen und Getränke für die Brunnengäste wachte. Alles hat so sehr seinen billig bestimmten Preis, daß man mit Anstand seine vier und zwanzig Stunden, für zwey höchstens drey Thaler vollkommen leben kann. Was mir nicht gefiel war die sogenannte kleine Bank, das Faraospiel1 in der ohnehin kleinen Apotheke. Sie störte des Apothekers Aufmerksamkeit für die Arzney, die er machen soll, und es fehlte an andern Zimmern dazu nicht. Die große war in einer schönen Galerie. Der Weg von Hof-Geismar nach Cassel ist der schönste, und kann in drey Stunden gefahren werden. Er hat an der Seite weite und reiche Felder, und das Lustschloß Wilhelmsthal mit einem Garten im Holländischen Geschmack. Ich reiste durch Cassel, sah aber den Anfang eines neuen Brückenbaues über die Fulda. Man riß mehrere Häuser nieder, um eine schöne weite Straße zu eröffnen; und die Leute rühmten, daß der Landgraf sie sehr gut bezahlt hätte. Wären Sie mit Cassel bekannt, so wollte ich Ihnen schreiben, daß hier der Landgraf durch zwey Städte Cassel hin, eine Wilhelmsstraße bauen könte, die jeden mit dem altmodischen Cassel aussöhnen würde. Den Anfang müßte die Niederreißung einer alten häßlichen und kleinen Kirche machen. Und nach der Kühnheit zu urtheilen, mit welcher er auf dem Weisenstein große Gedanken herrlich ausführt, geschiehts gewiß. Es wäre nichts, als eine unter das Volk, nicht ohne Gewinn ausgestreute halbe Million Rthlr. diese aber wenigstens, und denn ein Denkmahl seiner Größe. Von Cassel aus ritt ich über das alte Mainzische Fritzlar, es liegt wie verlassen von seinen großen Besitzen, dem so preiswürdigen Kurfürsten. Wenn es in Rücksicht auf Hessen nicht eine Art von Schleichhandel hätte, so wärs, die Cathedralkirche und Klöster ausgenommen, ein Dorf. Die Hessischen Dörfer haben größtentheils bessere Häuser, wenigstens die in der Nachbarschaft, als einer ausserordentlich fruchtbaren Gegend Hessens. Wo Hessische Landstrassen sind, da findet man sie zum Theil schön und bepflanzt, oder man ist in der Arbeit. Die von Cassel aus nach Wabern einer Station, sind hin und wieder zu schmahl. Ein Fuhrmannswagen konnte einer Postkutsche nur mit Mühe ausweichen. Es war Sonntag, ich sah hübsche Bauernmädchen aus der Hessischen Dorfkirche kommen; Herr Campe, der sie in seinen kleinen Reisen der lieben Jugend alle so häßlich schildert, muß hier nicht gewesen seyn. Und wer hier über Berge klagt, der muß niemahls schöne weite Ebnen, mit einem entfernten Kranz von Wäldern umgeben, gesehen haben. Aber von Fritzlar aus ritt ich bald Berg auf in das bergichte Fürstenthum Waldeck nach Wildungen hin; allein die Edder schlängelt sich hier von der Hessischen Gränze an, dem Ansehen nach drey Meilen weit, durch ein ziemlich kleines und fruchtbares Thal. Dörfer liegen auf beyden Seiten, unter andern Bergheim, der Sitz der Grafen von Waldeck mit einem neuen Schlößchen vom letztverstorbenen. Im Grund sieht man das alte Schloß Waldeck auf einer ehrwürdigen Feldsenhöhe. Durch ein dem Ansehen nach neueres Schloß, zeigte sich mir das in zwey Städte dieß- und jenseits des Schlosses getheilte Wildungen. Das Schloß liegt romantisch schön, die Stadt aber scheint fast ganz ohne Nahrung zu seyn, wie freylich auch manche Landstadt im nahen Hessen. Eine Stadt mit ziemlich großen Häusern, größtentheils ohne Fenster, habe ich indessen nie so gesehen. Eine in der That ehrwürdige alte Gothische Kirche enthält die Grafen- und Fürstengruft, und einige große nicht üble Denkmahle, ganz von wälschem Marmor. Sie verdienen den Blick des Durchreisenden, wie der nahe mineralische Brunnen. Ich ging zu Fuß durch eine eben nicht schattige Allee hin, er liegt auf einer nicht übel bepflanzten Wiese, hat auf beyden Seiten Höhen, wo die Kunst noch Schatten in Lustgängen und auf Ruheplätzen schaffen könte. Und das herrliche Wasser verdients; freylich aber ist der gute Fürst des Landes seinem Pyrmont größere Sorgfalt schuldig. Von hier ging ich meistentheils der Berge und der beständigen Waldungen wegen nach dem Kloster, jetzt Hospital Haina, zu Fuß. Der Waldeckische Bauer scheint ein besonderer treuherziger guter Mensch zu seyn, in der altdeutschen Manier des nahen Westfälingers. Wenn ich, wie Herr Campe, keinen natürlichen Uebergang der hochdeutschen zur plattdeutschen Mundart auf Gränzen von zwey Ländern annähme, so würde ich die hier anfangenden Sprache der Waldecker auch so häßlich beschreiben, wie er die Hessische an der Hannöverischen Gränze von Minden her. Allein ich reise ohne Vorurtheile, und brauche meine Augen und Ohren auch ohne sie. Im Waldeckischen findet man noch viele Spuren altdeutscher Jagd, ich sahe das gerne, es zeigt mir den alten Deutschen. Nur rechne ich Parforce-Jagd nicht hieher. Das weiland Cisterzienster Kloster, jetzt fürstlich Hessencasselische und Darmstädtische Sammt-Hospital für Rasende, Blödsinnige und Gebrechliche, liegt am wasserreichen Abhang eines mit lauter Wald umgebnen Berges, wo vermuthlich unsere Väter in einem Eichenhayn ihre Gottheit verehrten. Mönche weihten ihn zu einem Kloster ein, das reich wurde, Landgraf Philipp von Hessen zu einem Hospital, so bliebs immer ein heiliger Ort. Als Kaiser Carl der fünfte, während des Landgrafen Gefangenschaft, Gesandten hinschickte, um die schon vertriebnen Mönche wieder einzusetzen, zeigte ihnen der erste von allen folgenden sogenannten Obervorstehern des Hospitals, ein Hans von Luders die auf einer Wiese, in den Mauren des Hospitals versammelten Blödsinnigen und Gebrechlichen, als seine nunmehrige das Kloster in Besitz habende Mönche. Die Gesandten antworteten mit Thränen im Auge, daß sie es dem Kaiser berichten wollten, und die Mönche gingen stillschweigend weg. Man muß auch ihnen ihren Schmerz verzeichen. Und so kann auch ich, wie die ersteren, nicht ohne Rührung erzählen, was ich sahe. Ich fand gegen 300 solcher elenden Leute im Hospital. Der gegenwärtige Obervorsteher ist ein Hessischer Major von Stamford, dessen in Amerika bewiesenen Muth der Kriegsorden bezeichnete, wie sein großes menschenfreundliches Herz, die Sorgfalt, welche er für jene hat. Es ist unmöglich zu beschreiben, daß keiner der Elenden eine hinreichende Speise nicht erhielt, ohne daß er sie gekostet hätte. Personen von Stande erhalten eine Kost, die sie nicht mit Mißvergnügen an ihren Stand erinnert, und das menschenfreundliche Betragen des Obervorstehers gegen sie läßt sie an ihr Unglück kaum denken, so lange sie nur nachdenken können. Gesunde- und Krankenkost sind verschieden, ich versuchte sie, und hätte mitessen wollen, ohne mich zu beklagen. Da das Hospital ein vortreffliches Wirthshaus hat, so blieb ich drey Tage hier, ob mir gleich zuvorkommende Gastfreyheit es fast entbehrlich machte. Es lagen über dreyßig Unsinnige an Ketten oder in einer breiten Binde um den Leib. Sonst lagen sie auf kaltem Stein. Herr von Stamford hatte ihnen eine Art von hölzernen Bettstellen oder sogenannten Pritschen machen lassen, die höher als der Boden waren. Ueberall zog freye Luft hindurch, Abfluß der Unreinigkeit war befördert, und auf dem Hofe lagen große schwere Bäume, an welche man bey schöner Luft die Rasenden anzuketten wußte, damit sie solcher genießen konnten. Eine hinlängliche Anzahl von Beamten und Unterbedienten macht alles unter dem überall hinsehenden Auge des Obervorstehers möglich. Es schien, als ob man lauter Menschenfreunde hier fürs menschliche Elend versammelt hätte; aber ihm schrieb jeder alles mit Dank zu. Die Gebäude sind groß, räumlich und schön, das Ganze in einer Mauer mit vier Thoren, macht ein kleines Städtchen aus. Mancher großen Stadt wünschte ich die hier herrschende Policey. Die Mönche haben eine große schöne Gothische Kirche hinterlassen. Wie oft haben wir Protestanten Ursache den Katholiken zu danken, daß sie uns Kirchen bauten! Die Kreuzgänge sind noch nicht fertig, aber groß und hoch. In der Kirche über dem Altar stand noch der alte Christus am Kreuz, darunter ein herrliches Bild war, Christus am Oelberg zwölf Fuß hoch. Es war neu und von dem bekannten großen Mahler J. Henrich Tischbein vor wenig Wochen hierher geschenkt, weil dieses Haina sein Geburtsort, und der von manchen andern Tischbein ist, die zu Deutschlands und Hessens Ehre aus seiner Schule in die Welt ausgingen. Der Freund der Menschheit und Menschenliebe, und der Kenner der Kunst werden also künftig nicht bey dem Hospital vorüber gehen, wo ein Stamford ist, und Tischbein das Andenken seines Geistes und Herzens so schön stiftete. Jetzt bin ich in Giesen.
B -.“
1 : Kartenspiel/Glücksspiel
Personen Landgraf Philipp der Großmütige (*13. November 1504 - +31. März 1567 | 1509/18-1567 - Landgraf von Hessen-Kassel)
Ludwig Friedrich, von Stamford (* - +19. August 1803 | 1786-1803 - Obervorsteher in Haina)
Schlagworte: Haina, Krankheit, Reisebericht, Wahnsinn,